Am 3. März 2024 hat sich die Schweizer Stimmbevölkerung für eine dreizehnte jährliche Zahlung der Alters- und Hinterbliebenenversicherung (AHV), aber gegen eine schrittweise Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters ausgesprochen. Zum ersten Mal im System der direkten Demokratie der Schweiz wurde eine Volksinitiative zur Ausweitung des Wohlfahrtsstaates angenommen.
Im Schweizer System der direkten Demokratie kann die Schweizer Bundesverfassung unter anderem durch Volksinitiativen geändert werden. In der Schweizer Terminologie müssen solche Initiativen von Referenden unterschieden werden; die Letzteren beziehen sich auf Entscheidungen der Schweizer Bundesversammlung, d. h. des Bundesparlaments. Um zur Abstimmung zu gelangen, muss eine Volksinitiative innerhalb von 18 Monaten von 100.000 Stimmberechtigen unterzeichnet werden. Um angenommen zu werden, muss die Initiative eine doppelte Mehrheit erreichen, d. h. die Mehrheit der stimmberechtigten Bevölkerung sowie die Mehrheit der Kantone (Kantone, in denen eine Mehrheit der Bevölkerung mit Ja gestimmt hat, werden auch auf kantonaler Ebene als Ja gezählt, und umgekehrt). Die Annahme einer Initiative ändert sofort den Text der Bundesverfassung. Sie muss in der Folge auf der Ebene der Bundesgesetze umgesetzt werden.
Am 3. März 2024 wurde über zwei Volksinitiativen abgestimmt, die sich auf die staatliche Altersvorsorge im Rahmen der AHV bezogen. Die erste war die Volksinitiative «Für eine sichere und nachhaltige Altersvorsorge (Renteninitiative)», die von den Jungliberalen, einem Zweig der Freisinnig-Demokratischen Partei der Schweiz, lanciert worden war. Sie vertrat die Auffassung, dass der AHV Geld fehle. Um die Finanzierung der AHV langfristig zu sichern, schlug die Initiative vor, das Renteneintrittsalter von 2028 bis 2033 schrittweise auf 66 Jahre anzuheben. Danach würde das Rentenalter automatisch weiter steigen, wenn die durchschnittliche Lebenserwartung zunimmt. Prognosen zufolge würde das Rentenalter mit diesem System in etwa 20 Jahren bei 67 Jahren liegen (siehe die offizielle Information zur Initiative der Schweizer Bundesregierung, S. 22). Die Renteninitiative wurde von 74,74 % der Wähler und von allen 26 Kantonen abgelehnt.
Im Gegensatz dazu wurde die Volksinitiative «Für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente)» von 58,24 % des Volkes und 16 von 26 Kantonen angenommen. Diese von einem Linksbündnis unter Federführung der Gewerkschaften lancierte Initiative zielt darauf ab, die Altersrenten der AHV jährlich um einen Monatsbetrag zu erhöhen. Konkret soll die maximale jährliche Altersrente für Alleinstehende um 2450 Schweizer Franken (CHF) auf 31.850 CHF pro Jahr für Alleinstehende und um 3675 CHF auf 47.775 CHF für Ehepaare erhöht.
Art. 111 der Schweizer Bundesverfassung begrifft das Schweizer Drei-Säulen-System der Altersvorsorge, das aus 1) der AHV als gesetzlicher Rente, 2) der Betriebsrente und 3) privaten Altersvorsorgeplänen wie persönlichen Ersparnissen besteht. Dabei sollte die AHV grundsätzlich eine angemessene Deckung der Grundbedürfnisse im Alter bieten. Doch auch wenn der monatliche Höchstbetrag von 2450 CHF von außen betrachtet großzügig erscheinen mag, wird er in einem teuren Land wie der Schweiz, wo nur schon die obligatorische Krankenversicherung mehrere hundert CHF pro Monat und Person kostet und die Lebenshaltungskosten im Allgemeinen sehr hoch sind, nicht ausreichen. Das Initiativekomitee argumentierte zudem, dass in den letzten drei Jahren die Inflation und die Erhöhung der Prämien für die obligatorische Krankenversicherung zusammen so viel wie eine Monatsrente ausmachten, was bedeutet, dass alte Menschen diesen Betrag faktisch verloren haben.
Kommentaren zufolge haben die Kostensteigungen und eine einfache Idee hinter der Initiative das Stimmvolk überzeugt, selbst in konservativen Kreisen. Die Tatsache, dass der Initiativtext die Frage der Finanzierung des Systems offengelassen hat, hat wohl ebenfalls zu diesem Ergebnis beigetragen. Die Finanzierung zu bestimmen, ist nun die wenig beneidenswerte Aufgabe der Schweizer Bundesversammlung. Es wird nicht leicht sein in einer Situation, in der der Schweizer Bundesstaat seit einigen Jahren ein Defizit verzeichnet. Dank einer Reihe von Reformen – darunter die Erhöhung des Rentenalters für Frauen – ist die AHV derzeit gut finanziert und verfügt über Reserven, aber Defizite werden etwa bis 2030 erwartet, auch ohne die 13. AHV-Rente (siehe die offizielle Information zur Initiative der Schweizer Bundesregierung, S. 12). Zusätzliches Geld muss also von anderswo beschafft werden. Es wird einigen Einfallsreichtum erfordern, um sicherzustellen, dass die Änderungen nicht ausgerechnet Menschen mit niedrigem Einkommen nicht unverhältnismäßig stark belasten.
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